Der Glückspils

Die sengende Mittagssonne flimmerte hoch über den staubtrockenen Horizont der Prärie. Die rauen Fasern des Stricks übten immer mehr Druck auf den Kehlkopf des tapferen Cowboys aus. Keuchend rang William nach jedem Atemzug, der ihm noch blieb. 
   Er verfluchte seinen untreuen Gaul, der unersättlich der Spur aus verdorrten Grashalmen folgte und mit jeden weiteren Schritt ein Stückchen mehr das Schicksal seines Reiters besiegelte. Williams Beine umklammerten krampfhaft den Rumpf des Tieres in dem verzweifelten Versuch, möglichst lange auf seinem Rücken zu bleiben.
   Ein weiteres Mal zog er vergeblich an den Fesseln seiner Hände. Nutzlos!, fluchte William in Gedanken. Die Fesseln lösen sich erst, wenn dieser verdammte Strick um meinen Hals reißt. Wirklich perfide von diesen Arschlöchern. Er blinzelte gegen die Sonne an. Auch wenn William die Sechs nicht richtig sehen konnte, riechen konnte er diesen stinkenden Abschaum alle Male. Er spürte das helmische Grinsen dieser Knabenschänder auf seiner Haut und blickte mit wutverzerrtem Gesicht zur nahegelegenen Scheune. William bedauerte in diesem Moment nur eines: Nicht einfach geschossen zu haben, als er die Gelegenheit dazu hatte.
Gedankenversunken hörte er noch das dreckige Lachen eines der Männer sowie den Klaps, den man seinem Pferd gab und William riss die Augen vor Schreck auf. Hilflos zappelten seine Beine auf der Suche nach einem festen Untergrund in der Luft umher, dann verstummte das Zappeln zu einem seichten Zucken und es war vorbei.
   Als hielte die Welt den Atem an, gefror der Schauplatz zu einem skurril anmutenden Standbild. William betrachtete seinen erschlafften Körper am halb aufgezwirbelten Strick und kratzte sich an der schmutzigen Stirn. »Kacke! Da fehlte nicht mehr viel«, klagte er und trottete langsam durch den Staub zu seinem Gaul, ein Auge auf den Horizont gerichtet. Jeden Moment müsste es so weit sein, das wusste er. Ein Schluck noch, mehr verlangte William gar nicht.
   Blasse, kalte Hände griffen vergebens auf der Suche nach seinem Whiskey durch die Satteltasche seines Pferdes hindurch. »Ach ja, da war ja was. Ich hasse diesen Zustand«, murrte William kopfschüttelnd.
   Das Prusten von Nüstern ertönte plötzlich hinter ihm und William dreht sich langsam herum. Ein dunkler Reiter, gehüllt in verschlissenen Lumpen, schwarz wie die Nacht, stand verheißungsvoll vor ihm. Hätte William es nicht besser gewusst, hätte er die Gestalt und sein verfaultes Maultier für den Teufel selbst gehalten.
   Die Zügel seines seelenlosen Reittieres fest in seinen knochigen Fingern, beugte der Reiter sich zu William und flüsterte aus dem Dunkel seiner Kapuze: »Es ist Zeit zu gehen.«
   Der blonde Cowboy legte schnaubend das Kinn auf die Brust, stemmte eine Hand in die Hüfte und deutete mit der anderen auf den aufgezwirbelten Strick. »Der sagt was anderes.«
   Der dunkle Reiter blickte nicht auf. »Es ist bereits zu spät«, flüsterte er weiter.
Ein Finger im Ohrenschmalz vergrabend legte William den Kopf schief. »Das sagtest du die letzten Male auch und was ist dann passiert?«
   Das fahle, seelenlose Tier des Reiters trabte unruhig hin und her. »Dieses Mal nicht, gewiefter William. Deine Zeit ist gekommen.«
   William schnalzte abfällig und zwinkerte. »Komm schon, gib dir einen Ruck, Partner. Ich hab mit diesem Pack noch eine Rechnung offen und es ist wichtig, dass ich sie begleiche.«
   Die Hufe des verfaulten Pferdes scharrten über den Staub, während sein Reiter sich kaum rührte. »Nicht mehr in diesem Leben«, hauchte er beinahe tonlos.
William würgte einen Schwall Rotz aus seiner trockenen Kehle, schleuderte ihn vor die Hufe des fauligen Reittieres und deutete mit seinem Daumen auf die Scheune. »Wie wäre es, wenn du da mal einen Blick hineinwirfst, bevor du urteilst?«
   Der Reiter rührte sich nicht.
   Die Sporen von Williams Stiefel klirrten leise umher, als er dem Reiter näher kam. »Also gut, siehst du zumindest diese Männer dort?« Er beobachtete, wie sich der Kopf des Reiters etwas in die Ferne neigte. »Ja, genau die. Das sind Menschenschmuggler und Knabenschänder, die unaussprechliches tun.«
   Die Kapuze des Reiters senkte sich wieder und erneut erhob sich seine flüsternde Stimme: »Heute richte ich nicht über diese da.«
   Fassungslos zog William seine rechte Stiefelspitze über den trockenen Boden und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du nimmst lieber mich mit als die? Moralisch fragwürdiger Standpunkt, Partner«, murrte er unzufrieden vor sich hin.
   Der Reiter beugte sich dicht zu William hinunter. »Es obliegt nicht dir, das zu beurteilen.«
   Resigniert ließ William die Schultern hängen. »Fein. Wie du willst. Dann nimm halt nur eine Seele mit, statt sechs, mit denen du so richtig Spaß haben könntest.«
Schweigend trabte der unheimliche Reiter einen Moment zögerlich vor und zurück, bevor erneut seine Stimme erklang. »Mein Urteil ist gefallen, William.«
   Der Strick um Williams Hals riss und als hätte er eine Ewigkeit nicht geatmet, füllten sich seine Lungen mit Sauerstoff. Noch bevor seine Stiefel den Staub unter seinen Füßen berührten, fielen sechs Schüsse. So schnell, als wäre jeder Einzelne der Nachhall des Vorherigen gewesen. Stille zog ein und William ließ seinen geliebten Revolver langsam in das Holster zurückgleiten. Anschließend bückte er sich nach seinem Hut, putzte die Krempe und setzte ihn lässig auf. »Sechs im Tausch gegen einen. Hast wieder mal einen guten Deal gemacht, Partner.«

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