Der letzte Wunsch

Feuer brannte wie ein warmer Hoffnungsschimmer über der Mündung der gläsernen Lampe und erhellte die Dunkelheit des Abends.
   Die bernsteinfarbenen Augen des Fuchsia-Mädchens leuchteten in dessen Schein, während ihre kalten Hände das warme Glas der Lichtquelle umfassten. Wie jeden Abend in letzter Zeit, schritt sie nachdenklich zum Fenster ihrer Hütte, setzte sich auf dessen Sims und stellte die gläserne Lampe vor sich ab.
   »Die Sterne sind heute wieder besonders schön, nicht wahr?«, hauchte Luna ins augenscheinliche Nichts, während das bunte Ölgemisch in seinem Gefäß nur so vor sich hin schwappte. Sie strich sich einer ihrer schneeweißen Strähnen hinters Ohr und lauschte anteilnahmslos in die Ferne.
   Irgendwo spielten nachtaktive Guluare fangen und ein Vater las seinem Kind eine Geschichte über einen tapferen Heldenkönig vor. Luna schmunzelte über die Unwirklichkeit dieses friedlichen Augenblicks. Kinder, die fröhlich spielten, Eltern, die von tapferen Helden erzählten, es war so schön – und eine Lüge. Die Zeiten waren nicht friedlich und die Kinder nur glücklich, weil ihre Eltern verdammt gut darin waren, ihre nackte Angst zu verbergen. Angst davor, dass morgen bereits alles vorbei sein könnte. Die Angst davor, dass sie ihren Kindern heute zum letzten Mal sagen könnten, wie sehr man sie liebte und das alles war ganz allein ihre Schuld.
   Lunas Hand glitt an ihre schmerzende Brust und eine stille Träne der Verzweiflung folgte der kleinen Narbe auf ihrer Wange. »Ich wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen, das wünschte ich wirklich.« Ihre Lippen pressten sich aneinander und nahmen das salzige Aroma einer weiteren Träne auf.
   Als würde die Lampe einen tiefen Atemzug nehmen, schrumpfte dessen Flamme zu einem kleinen kümmerlichen Lichtlein zusammen, bevor sie plötzlich und ohne Vorwarnung bis an die Decke ihres Fenstersims schoss.
   Luna presste im Schreck ihren Rücken an die Wand und wischte sich schnell über das verheulte Gesicht. »Was zum ...?!«
   Ein schemenhafter Schatten bildete sich im Herzen der Flamme, streckte die müden Glieder und gähnte. »Verzweiflung war schon immer der Wünsche Zunder«, sprach es ruhig und führte eine tiefe Verbeugung aus. »Apollon, stets zu Diensten.«
   Luna sprang in einem Satz von ihrem Fensterbrett, packte nach ihrem Dolch und hielt ihn drohend der Flamme entgegen.
   Apollons Erscheinung waberte erwartungsvoll im Herzen der Flamme umher und legte irritiert den Kopf schräg. »Was wird das? Möchtest du deine hübsche Klinge bei dem Versuch, mich zu erdolchen, mit Ruß überziehen?« Apollon zögerte kurz. »Zugegeben: Wäre das dritte Mal, dass das jemand versucht. Überspringen wir doch einfach diesen nervigen Part, ja? Ich bin ein Djinn und du hast offenbar einen Wunsch. Nenn ihn mir und ich werde sehen, was ich tun kann.« Apollon verbeugte sich abermals höflich, mit einer Hand auf der Brust.
Der Dolch zitterte leicht in Lunas Hand. »Ein Wunsch? Was für ein Wunsch?«
Apollon nickte. »Ganz recht, ein Wunsch. Was immer dein gepeinigtes Herz am meisten begehrt. Doch Obacht: Die Worte beim Wünschen sollen weise gewählt sein, soll deines Herzens Unglück nicht weiter gedeihen.«
   Lunas Miene füllte sich mit Misstrauen. »Wie soll das gehen? Ich wünsche mir, dass alles, was ich verbockt habe, nie passiert wäre? Es macht Puff! Und alles ist okay?«
   Apollon lächelte verschmitzt. »So in etwa.«
   Ihre Augen fuhren suchend in der Dunkelheit umher. »Wie? Mit Magie?«
   »Wenn du so willst, ja.«
   »Aha«, antwortete Luna knapp, ließ den Dolch fallen, machte einen Ausfallschritt zu ihrem Nachttisch und rammte nur eine Sekunde später den Korken auf den Flaschenhals. Kläglich wimmernd erstickte die Flamme mit seinem Bewohner und Luna grunzte höhnisch. »Sorry, du elender Parasit! Was ich verbockt habe, ist nicht mit Hokuspokus zu lösen. Aber danke für das scheinheilige Angebot.«
   Resigniert nahm sie wieder auf der Fensterbank Platz. Eine seichte Abendbrise umspielte ihre Wange. Der Vater hatte sein Märchen längst beendet und auch die Guluare hatten offenbar genug vom lustigen Spiel bei Nacht. Luna blickte andächtig zu dem Sternenhimmel hinauf und seufzte. »Einfach an den Anfang von allem zurückkehren und die Dinge ungeschehen machen, das wäre schön.«

Dir hat es gefallen? Dann würde ich mich sehr über einen 

-> Kaffee <- freuen.