Die Orkbraut
Musik drang aus dem gut befüllten Lokal hinaus in die warme August-Nacht. Im Tapferen Wandersmann wurde wie immer gut gebechert und auf den Bürgersteigen vor dem Lokal ausgiebig getanzt.
Naserümpfend schwenkte Luna den Met in ihrem Becher hin und her, während ihre dunklen Fingernägel auf dem rustikalen Holztisch zum Takt der Musik klimperten. »Hab ich mir echt besser vorgestellt«, maulte sie. »Was finden die Leute nur an Alkohol? Es benebelt die Sinne und schmeckt scheußlich.«
Sie saß gemeinsam mit Kira und Tetra zum ersten Mal in der Bar und genoss die angenehm verruchte Atmosphäre. Es war urig, aber Luna mochte es.
Die goldenen Armreifen des braungebrannten Blondschopfs, die Luna gegenüber saß, klirrten umher und ihre Hände formten nach und nach stumme Worte, gefolgt von einem Lächeln.
Luna presste die Lippen zusammen und gackerte hinter vorgehaltener Hand los. »Ja, Tez! Ich meine, hast du diesen Ork in seinen Lendenshorts gesehen?« Luna deutete mit dem Daumen auf den Bartresen und kniff die Augen amüsiert zu. »Wenn ich so aussehen würde, würde ich lieber nicht so aussehen.«
»Knull der Eroberer«, erhob sich Kiras sanfte Stimme, während die Kopfranken der Pflanzenfrau kleine Figuren auf dem Tisch bildeten. Sie zeigten einen Ork, der mit einer schweren Keule Schädel um Schädel spaltete. »Er hat zehntausende in die Knie gezwungen.«
Luna grunzte. »Wow! Klingt beeindruckend. Trotzdem braucht der hier nicht andauernd rüber starren.« Sie lehnte sich mit ihrem Becher in der Hand zurück und strich sich durch ihre feuerrote Lockenmähne.
Knull rülpste ungeniert den Käfermann hinter dem Tresen an und schlug sein leeres Glas auf den Tisch. »Gib Knull mehr! Sofort!« Der blaue Hirschkäfer murrte etwas in einer Sprache, die Knull nicht verstand, aber er war sicher, dass es eine Beleidigung war. Knull langte über den Tresen, packte den Käfer an einem seiner Fühler und brüllte: »Gib Knull mehr!« Zwei Arme des Hirschkäfers spülten unermüdlich Gläser und die anderen beiden schenkten dem Ork schnell ein weiteres Glas Glühnarim ein. Die rote Substanz brodelte im Glas und Knull leerte auch dieses in einem Zug.
Abermals lugte er über seine versoffenen Schultern hinweg zu der Rothaarigen in der Ecke. Er schnaubte und schüttelte den Kopf! Knull wusste nur zu gut, wessen Tochter das war, doch er sah weit und breit keine Spur von dem Drachen an diesem Abend. Knulls Entschluss stand daher fest! Wenn nicht heute, wann dann? Wankend erhob er sich und torkelte zu dem Tisch der drei gackernden Weibsbilder. Knull ließ grinsend seinen kräftigen Bauch auf die Tischkante rumsen und die Mädchen stockten augenblicklich zu gleichen Teilen erwartungsvoll und angewidert.
Luna runzelte die Stirn und schob seine Dreckswampe vom Tisch. »Können wir behilflich sein?«, fragte sie mit einem deutlichen verpiss dich in ihrer Stimme.
Knull blickte auf sie hinunter. »Knull hat entschieden.«
Luna leerte aus Trotz in einem Zug ihren Becher und funkelte den Ork scharf an. »Aha! Schön für dich! Jetzt zieh Leine!«
Der Ork packte Luna an den Haaren. Sie schrie auf, doch Knull zog Luna erbarmungslos über den Tisch und hievte sie auf die Schulter. »Du kommst mit! Du wirst Knull starke Nachkommen schenken.«
Luna spuckte vor Zorn, strampelte und schlug um sich wie eine Wilde. »WTF! Ich bin gerade mal sechzehn, du mieser, perverser, kleiner ...!«
Plötzlich stoppte Knull und ließ Luna fallen. Sie schlug auf die überraschend harten Holzdielen, rappelte sich in einer eleganten Drehbewegung wieder auf und wetzte mit Zorn verzerrtem Gesicht ihre Krallen. Doch als sie sich umdrehte, um Knull den Eroberer in Scheiben zu schneiden, stockte sie! Knulls Beine zappelten auf der Suche nach festem Boden in der Luft umher. Luna runzelte die Stirn, legte den Kopf schief und blickte zu Kira, die mittlerweile ebenfalls stand.
Kiras Kopfranken schnürten sich immer fester um die Kehle des Orks. Er strampelte wild umher und versuchte mit aller Macht, die Ranken um seinen schmierigen Hals zu lösen. Knulls Sicht verschwamm, während er in diese kalten, toten, ausdruckslosen Knopfaugen der Planzenfrau blickte. Es knackte kurz und der leblose Orkleib sank zu Boden. Die Musik im Lokal verstummte und es gab nicht ein Augenpaar, dass den Mädchen ihre Aufmerksamkeit verwehrte.
Kira verharrte in Lauerstellung. Ihr Kopf zuckte immer wieder mit einem unheilvollen Klickern zur Seite, wie bei einer kaputten Spieluhr. Der Ork hatte ihren Blutdurst geweckt und so sollte es ihr nur recht und billig sein, falls noch ein tollkühner Trunkenbold auf dumme Gedanken kam. Nach einigen Sekunden fing die Band wieder an zu spielen und ein jeder kümmerte sich um seine eigene Angelegenheit. Beinahe schon schade, wie Kira fand.
Sie legte ihre Hand auf Lunas Schulter ab und kleine warmweiß leuchtende Kugeln sickerten schwebend aus ihrem Körper.
Luna nahm einen tiefen Atemzug davon und kam zur Ruhe. »Danke, Kira.«
Die Pflanzenfrau lächelte. »Gern. Und alles Gute zum Geburtstag, Freundin.«
Sie begaben sich zurück an ihren Tisch und Tetra funkelte Luna dicke Pausbacken machend an.
Luna hob ratlos die Hände. »Was ist nun wieder?«
Tetra hob ihre Hände und ließ mit ihren Fingern Worte entstehen.
Lunas Augen weiteten sich. »Oh! Du hast dich gar nicht über den Ork lustig gemacht, du wolltest mich vor ihm warnen.« Luna setzte sich und versuchte ein unerschrockenes Lächeln. »Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, woher du solche Sachen immer deutlich vor uns weißt, aber ich gebe zu: Ich sollte wirklich mehr Zeit zum Erlernen von Gebärdensprache aufwenden.« Luna lehnte ihren Kopf an die Scheibe und dachte darüber nach, was ihr Lieblingsdrache wohl getan hätte, wenn er heute Abend hier gewesen wäre.