Eine (un)vergessliche Nacht

Der nächtliche Regen perlte in sanften Zügen die Fensterfront des O'Briens Irish Pub am Wilshire Boulevard hinab. Viel war um diese Zeit nicht mehr los. Ruhige Jazzklänge drangen aus den Boxen vor der kleinen Tanzfläche, während die Band des heutigen Abends ihre letzten Instrumente verstaute. Vereinzelt kam noch jemand an die Bar, bestellte etwas zu trinken und verzog sich damit wieder an die Dartscheibe.
   Der Barkeeper kümmerte sich inzwischen mehr um gut polierte Gläser als um den Ausschank weiterer Getränke. Nur an einer der hintersten Fensterplätze saß noch eine Gruppe von Gästen, bei denen Steven fast sicher war, dass er sie noch bis zum Morgengrauen bedienen durfte. Das hätte ein Vorurteil sein können, doch in seinem Job hatte Steven inzwischen ein Auge für die rauen und trinkfesten Gestalten, die sich in seine Bar verirrten. Und diese da waren alles andere als sanfte Zeitgenossen.

   Gepflegte Finger klimperten rhythmisch auf der hölzernen Tischplatte vor dem verregneten Fenster umher. »Hat's geschmeckt?«, fragte Trevor mit einem unüberhörbar zynischen Unterton an die junge Frau mit dem rot-weiß gescheckten Haar gewandt.
   Die Tabakpfeife eines benachbarten Tisches verströmte ein feines Vanillearoma, das von Ginger jedoch als unangenehm streng beurteilt wurde. Sie rümpfte die Nase und schlug das leere Whiskeyglas demonstrativ auf den Tisch, um den beiden Männern gegenüber zu signalisieren, dass es leer war. »Ja, wahnsinnig lecker«, log Ginger, ohne eine Miene zu verziehen. Eigentlich hatte Ginger nur die Absicht ein wenig zu tanzen, dass sie hier ausgerechnet auf Trevor und William treffen würde, stand keinesfalls auf ihrer Agenda und von ihnen auf einen Drink eingeladen zu werden schon gar nicht. Sie hasste Alkohol. Schon allein wegen des Taubheitsgefühls, das sich so langsam auf ihrer Zunge und in ihren Fingerspitzen breitmachte. Doch wer weiß, wozu es nützlich ist, mit etwas Glück könnte Ginger endlich das in Erfahrung bringen, weshalb sie überhaupt hier war. Auf ihrem Stuhl wankend, schüttelte Ginger leicht den Kopf, bei dem Versuch das Wummern ihres Blickfeldes abzuschütteln, doch wie erwartet funktionierte das nicht. Zitternd glitten ihre Finger an die Stirn und massierten sie.
   Trevor nippte genüsslich an seinem Glas und ließ seinen gewohnt kühlen Blick über dessen Rand hinausgleiten. Anschließend schielte er zu seinem Partner William hinüber, der räuspernd die Spezialmischung wieder in seinem Mantel verschwinden ließ und wandte sich erneut Ginger zu. »Stimmt was nicht? Fühlst du dich nicht wohl?«, hauchte Trevor mit gespielter Sorge.
Gingers Stirn zog tiefe Falten. »Weiß nicht, vielleicht etwas beschwipst«, antwortete sie zunehmend desorientiert.
   Trevor lächelte kühl, setzte sein Glas ab und lehnte sich zurück. »Gut. Fangen wir damit an, dass du mir und meinem Partner erzählst, wer du wirklich bist.«
Ginger stockte plötzlich. Aufgeregt fuhren ihre Augen über die Inneneinrichtung der Bar. Hier stimmt was nicht. Ihr wummerndes Blickfeld blieb auf ihrem leeren Glas haften. Verdammt! Da war was drinnen. Finger schnippten vor ihrem Gesicht und holten sie aus ihren Gedanken. Es war William.
   »Hey, Kleines, mein Partner hat dich etwas gefragt. Du willst doch nicht so unhöflich sein und ihm nicht antworten, oder?«, murrte der Cowboy mit dem texanischen Akzent. »Sag schon, wer bist du und was willst du hier?«
   Ginger biss sich nervös auf ihre Unterlippe, fokussierte William und atmete in tiefen und ruhigen Zügen. Sie verstand nicht warum, aber in ihr brannte der tiefe Wunsch, ihnen alles zu erzählen. Das wäre fatal. Sie musste etwas dagegen unternehmen, doch je mehr sie dagegen ankämpfte, desto schwerer fiel es ihr. Schließlich deutete Ginger mit dem Zeigefinger auf Trevor. »Ich bin seinetwegen hier. Du bist in der Lage von jetzt auf gleich hunderte Welten weit zu springen. Ich bin hier, um herauszufinden, wie du das anstellst und dann ...« Ginger stoppte, beugte sich vor und stützte sich auf dem Tisch ab. »Dann bringe ich dich und deine ganze Kackbande eigenhändig um!«, presste sie mit Zorn erfüllter Miene hervor. »Denn ich bin ...« 
   Trevor signalisierte per Handzeichen und begleitet von einem amüsierten Lächeln, dass sie fortfahren sollte, doch statt einer Antwort sah er der jungen Frau nur dabei zu, wie ihr Kopf immer mehr rot anlief. »Ja? Du bist? Komm, weiter im Text.«
   Ginger ballte die Fäuste und prustete gegen den Schmerz in ihrem Kopf an. »I-ich bin der verdammte Nagel zu deinem Sarg!«, knurrte sie mit wutverzerrtem Gesicht und befreite den Tisch mit einem Hieb von seinen Gläsern.
Trevor und William schmunzelten über ihren Anblick. William legte den Kopf schräg. »Und wie genau willst du das anstellen?«
   Ginger konnte nicht fassen, was sie da eben sagte. Wochenlange Vorbereitungen, mit einem Satz die Toilette hinuntergespült. Wie konnte ihr das passieren? Das Wummern ließ allmählich nach. Ginger nutzte die Gelegenheit und erhob sich von ihrem Platz, während der Barkeeper, damit beschäftigt war, die Gläserreste zu beseitigen. »Was? Was hast du gefragt?«, brachte Ginger schwankend hervor.
Trevor erhob sich ebenfalls und reichte ihr eine stützende Hand.
   »Gedächtnisprobleme?«, fragte er gezwungen freundlich. »Sowas kann mal passieren. Nur mit der Ruhe, nimm dir Zeit. Du wolltest uns gerade erzählen, wie du uns alle umbringen willst.«
   Ginger betrachtete sein dreckiges Grinsen, und verspürte das dringende Verlangen, ihm die Kehle durchzuschneiden. »Du Bastard! Was war in dem Whiskey?« Halt suchend krallte Ginger sich an Trevors Rollkragenpullover fest.
   »Nur ein harmloses Wahrheitsserum, das dabei behilflich ist, die Zunge hinter deinem losen Mundwerk zu lockern.« Seine Hand hob behutsam ihr Kinn an.
   »Keine Sorge, du wirst dich hinterher an nichts davon erinnern, also kein Grund, sich Vorwürfe zu machen.«
   Dieses Grinsen. Dieses siegreiche Grinsen! Es trieb Ginger grenzenlose Wut in den Bauch. Ich werde ihn umbringen, um jeden Preis werde ich Trevor umbringen, das schwor sie sich. Ginger keuchte, fasste sich an den Kopf und atmete gegen die aufsteigende Übelkeit an, doch es wurde nicht besser. Ihr Blickfeld verschwamm erneut und ihre Welt wurde schwarz.
   Als hätte Ginger nur einen Moment zu lang geblinzelt, fand sie sich plötzlich an einer Kreuzung wieder. Schummriges Laternenlicht vermischte sich mit seichtem Morgennebel und tauchte die verlassenen Straßen in eine gespenstische Atmosphäre. Sie runzelte die Stirn, schaute zurück zur Bar und den letzten Gästen, die nach ihr das Lokal verließen. Das Gesicht verziehend versuchte sie sich zu erinnern, warum sie stehen blieb. Lippen kräuselnd legte Ginger das Kinn auf die Brust. »Ach ja, richtig! Stephanie hat ja diesen Typen zu sich mitgenommen und ich wollte noch tanzen. Ob sie wohl immer noch beschäftigt ist?« Ihren schmerzenden Nacken massierend beschloss Ginger, rechts abzubiegen und die Stadt weiter zu erkunden, anstatt direkt nachhause zu gehen.

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