Trick or Treat
Sie fühlte immer wieder staunend über das glatte, makellose Gesicht, das sie heute trug. Schon seit Stunden betrachtete Fiodora ihr Spiegelbild. Sie konnte nicht fassen, wie unglaublich überzeugend sie heute aussah.
Über ihr hörte sie das typische Lachen der Kinder. Es war dasselbe, wie in jedem Jahr zu dieser Zeit. Es klang verrückt, doch Fiodora freute sich schon sehr darauf, die Kleinen auch dieses Jahr in ihre Arme schließen zu dürfen.
Das Hupen eines vorbeirauschenden Fahrzeugs weckte sie aus ihrem Tagtraum und ihre bodenlangen Arme peitschten das Wasser der Kanalisation auf. Ein trauriger Seufzer durchfuhr Fiodora, als ihr wunderschönes Spiegelbild in verzerrten Wellen vor ihr lag.
Klickernd schaute sie nach oben. Das Licht der Straßenlaternen leuchtete bereits. Zeit aufzubrechen. Sie verstand die Vorliebe der Menschen für ihre Festlichkeiten nicht, doch dieses eine, in dem sich alle verkleideten und so taten, als wären sie kleine Monster, amüsierte Fiodora.
Ihre feinen Mundwerkzeuge umklammerten ihre Maske und rückten sie noch ein letztes Mal vor ihrem großen Auftritt zurecht. Anschließend stieg sie über den ausgenommenen Leib des verirrten Kindes.
Fiodora betrachtete das arme Ding durch ihre unzähligen Facettenaugen und räusperte sich: »Trrrrrrk oorrrrr Trrrrt - Trrrck orrr Trrret - Trick or Treat!« Nach dem dritten Anlauf saßen nun auch die Stimmbänder der edlen Spenderin an der richtigen Stelle. Ein entzückendes Stimmchen. Allein darum hat Fiodora sie ausgesucht.
Sie schlug ihre Flügel zu einem Umhang über ihre Schultern und kletterte am nächstgelegenen Kanalzugang an die Oberfläche. Die Straßen von San Francisco waren etwas ganz Besonderes für sie. So viele Möglichkeiten, satt zu werden.
Fiodora bog nach wenigen hundert Metern in eine fahl beleuchtete Straße ein und lächelte beim Anblick der Kinder, die brav von Haus zu Haus zogen, um sich die Bäuche mit feinen Leckereien vollzuschlagen. Sie verharrte. Holte erschreckend krächzend Luft und rief: »Trick or Treat!«