Donner gegen Blitz
Verzweifelte Schreie erfüllten die Morgendämmerung und vermengten sich mit dem tosenden Lärm lodernder Flammen. Egal ob Bauern, Fischer oder die wenigen Kirchlichen niemand in der friedlichen Küstenstadt hatte die gehörnten Teufel über den Seeweg kommen sehen, bis es zu spät war.
Aus einem der brennenden Häuser hallte Wehklagen und mitleidiges Betteln, gefolgt von erstickendem Gurgeln und entsetzlicher Stille. Höhnisch grunzend stieß ein Hüne von einem Mann kurz darauf die hölzerne Tür des Hauses aus den Angeln. Seinen Schild trug er stolz präsentierend vor dem Bauch, beladen mit all den glänzenden Habseligkeiten des ehemaligen Hausbesitzers. Erikson erwartete jubelenden Beifall seiner Schildbrüder beim Hinaustreten. Schließlich hatte er so eben einen dieser widerlichen Christen beseitigt. Einen Moment lang fragte Erikson sich, ob diese armen Schweine für ihre Frevleri wohl nach Hellheim kommen würden. Dann schüttelte er den Gedanken wieder fort und lachte. Niemals dürften diese Christen einen ihrer Götterreiche betreten. Nicht einmal wenn es Hellheim wäre.
Er stockte. Auch jetzt war nirgends etwas von seinen Brüdern zu sehen oder zu hören. Das war seltsam. Vorsichtig legte Erikson das Schild beiseite und ergriff die Axt an seinem Gürtel, während seine meerblauen Augen die Straßenzüge nach etwas Verdächtigem absuchten.
Dichte, tiefschwarze Rauchschwaden in den Straßen erschwerten die Sicht und trugen den Geruch von verbranntem Fleisch und morscher Dachpappeln mit sich. Es brannte in der Nase, das tat es immer. Schließlich erkannte der tapfere Seefahrer etwas zwischen dem beißenden Qualm und es ließ beinahe das Blut in seinen Adern gefrieren. Ein gehörntes Monster, wie es nur die alten Götter kannten, hatte eine Handvoll seiner Brüder erledigt. Das musste ein Zeichen sein. Die Menschen dieser Stadt hatten sich mit den Feinden Asgards eingelassen. Erikson musste sich dringend wieder sammeln. Es dauerte einen Augenblick, dann prustete er, packte die Axt eine Spur fester und straffte die Schultern. Nur zu gut wusste er, dass seine Götter niemandem beistehen würden, der im Angesicht des sicheren Todes wimmerte wie ein kleines Kind.
Rußbenetzte Pfoten tasteten auf dem Boden nach einem weiteren altmodischen Helm mit zwei Hörnen obendrauf. Das schneeweiße Kaninchen schnalzte abfällig, als auch dieser nicht so recht auf seinem Kopf passen wollte und warf ihn genervt zu den anderen, die er bereits probiert hatte. »Warum mussten wir noch gleich durch dieses Dörfchen spazieren?«
Dampf rieselte aus den Nüstern des grüngeschuppten Drachen. »Grmpf! Weil gleich im Gewässer vor der Küste unser nächster Übergang auftaucht. Es gäbe zwar noch eine andere Route in die nächste Welt, aber Diego möchte pünktlich zu unserer Verabredung mit Ginger sein, und möglichst wenig Zeit verschwenden«, grummelte Diego vor sich hin und verstaute einer der Äxte im Nano-Beutel an seinem Gürtel. Die Schneide hatte einen Blauton und schimmerte im Sonnenlicht. So eine hatte der waffensammelnde Drache noch nicht.
Lennerd rümpfte skeptisch das Näschen und probierte den nächsten Helm. »Okay, das leuchtet ein. Zwischendurch dachte ich nämlich schon, dass es dir einfach nur Spaß macht gemeine Hinterwäldler zu vermöbeln. Nicht dass das was Schlechtes ist, nur haben wir gerade eindeutig Besseres zu tun. Und du meinst, diese Ginger hat tatsächlich schon jetzt eine Idee, wie man die Springer finden kann?«
Der Drache ließ seine kräftige Nackenmuskulatur mehrfach hin und her knacken und richtete im Anschluss den Sitz seines ärmellosen Seidenkimonos. »Wie Diego bereits sagte: Sie wird uns von großem Nutz ...« Ein plötzlicher Kampfesschrei durchschnitt das Gespräch. Der Drache fuhr blitzschnell herum, packte nach dem auf ihn zu rasenden Axtstiel sowie der Hand seines Besitzers und hob beide an nur einem Arm in die Luft. »Ja wo kommst du denn jetzt noch her?« Die regenbogenfarbenen Augen des Drachen musterten das angstverzerrte Gesicht des umherzappelnden Mannes. Mit schnüffelnden Nüstern blickte der Drache langsam an dem vergleichsweise kleinen Mann im Kettenhemd hinab. »Ist nicht wahr? Du hast dich eingenässt? Pass auf Kumpel, folgender Vorschlag: Diego lässt dich runter und du verschwindest. Dann ist alles gut. Deal?«
Erikson zog an seinem Arm und windete sich so gut er konnte, doch das Ungetüm hatte ihn fest im Griff. Sein Atem zitterte. Es gab nur noch eine Hoffnung für Erikson. Die Götter mussten ihm beistehen oder er war verloren. »Odin hjelpe meg!«, rief er aus ganzer Kehle in den Himmel hinauf.
Resigniert rieb Diego sich die Augen. »Oje, noch so einer, der uns nicht versteht.«
»Hau ihn K.o. So wie die anderen«, murrte Lennerd beiläufig und betrachtete zufrieden in der Spiegelung einer polierten Klinge einen weiteren Helm auf seinem Kopf.
Diego sah zu dem verängstigen Mann und zuckte mit den Schultern. »Sorry.« Er hob die rechte Faust und holte zu einem Schlag von oben aus, als plötzlicher Donner und starke Winde über die Stadt fegten. Irritiert schaute der Drache auf und registrierte die zügig dunkler werdenden Wolkentürme und das sich aufbauende Knistern in der Luft. Er kannte diese Form von Magie nur zu gut. Doch diese hier war anders. Nicht wie die der Drachen.
Dann schlug ein Blitz auf die drei nieder und katapultierte den Drachen direkt durch die nächste Mauer.
Lennerds Kinnlade hätte nicht tiefer sinken können, als er fassungslos zwischen dem blonden Hünen im Blitzgewitter und den zwischen einem Berg aus Trümmern liegenden Drachen hin und her sah. »Alter! Bist du okay?«, fragte er an Diego gewandt.
»Beist! Hvordan våger du? Thor Odinson vil lære deg respekt«, sprach der fremde Krieger mit erhobenem Kurzhammer an den Drachen gewandt.
Geröll bröckelte von seiner Brust, während sich Diego langsam genervt aus dem Schutt erhob und sich den Dreck von den Kleidern klopfte, als sei es lediglich lästig durch eine Wand geworfen zu werden. »Grmpf! Wie oft noch? Wir verstehen kein Wort«, maulte der Drache und entließ einen Schwall Dampf aus seinen Nüstern.
Der blonde Krieger lächelte schief. »Wie du magst Bestie. Dann sprechen wir eben mit der gemeinen Zunge. Wer schickt dich, den Mut dieser tapferen Männer auf die Probe zu stellen?«
Lennerd kletterte für eine bessere Aussicht auf einer der wenigen unversehrten Holzkisten und setzte sich auf dessen Kante. »Chill mal, zuckender Blitz. Die haben angefangen. Wir sind eigentlich nur auf der Durchreise.«
»Schweig, Karnickel!«, befahl der Donnergott und richtete erneut den Kopf des Hammers in Richtung des Drachen. »Antworte – oder erfahre den Zorn Asgards.«
Wenig beeindruckt packte sich der Drache mit einer Pranke in den Nacken und massierte diesen. »Den Zorn Asgards? Lass das besser Lord Fünkchen. Am Ende tust du dir nur weh.« Mit schweren Schritten ging der Drache seelenruhig auf Lennerd zu. »Wie mein pelziger Freund schon sagte: Wir haben hiermit nichts zu tun und sind nur auf der Durchreise. Nebenbei haben wir es etwas eilig, wenn du uns also entschuldigen würdest?« Diego wollte gerade nach Lennerd greifen, um ihn wie gewohnt auf seine Schulter abzusetzen, da wurde der Drache erneut überraschend heftig von etwas getroffen.
Sieben Mauerblöcke später stoppte der Drache seinen unfreiwilligen Flug und sah noch im Augenwinkel was ihn da erwischt hatte, bevor der Hammer wie von Geisterhand zu seinem Besitzer zurückkehrte. Grummelnd murmelte der Drache unverständliche Flüche in uralter Sprache vor sich hin.
Der blonde Hüne trat lässig auf das Kaninchen zu und spielte mit seinem Hammer in der Hand. »Nun zu dir, Karnickel.«
Lennerd ließ entspannt seine Beine baumeln, während er sich nicht einmal die Mühe machte, aus seiner seltsamen Apparatur mit dem leuchtenden Fenster aufzublicken. »Hey! Großer! Laut Na-Vi haben wir noch fünf Minuten, bis sich der Übergang öffnet!«, rief er und hob seinen rechten Löffel in Richtung des Drachen. »Äh, du solltest abhauen Blondie. Der Grünling ist nämlich echt angepisst.«
Thor lachte lauthals. »Soll das ein Witz ...« Plötzlich riss er die Augen auf und schaffte es sich in letzter Sekunde unter einem umherfliegenden Mauerstück wegzuducken, das direkt hinter ihm einschlug. In einer fließenden Drehung warf Thor erneut mit aller Wucht seinen Hammer in Richtung des Ungetüms.
Doch der Drache schlug in seinem Sturmangriff den Hammer beiseite, als sei er nur ein weiteres, lästiges Hindernis und rammte den Gott schon in der nächsten Sekunde mit einer Kopfnuss zu Boden.
Orientierungslos versuchte Thor sich wieder zu erheben. Doch der Drache stand bereits mit einem Bein auf seiner Brust und übte genug Druck aus, um das zu verhindern. Der Gott schrie auf, als sich die Zehenkrallen des Drachen in seine Rüstung bohrten. Zorn vermengte sich mit Kampfeswille in Thors Miene. Aus seinem ganzen Körper strömten Blitze. Thor schrie, packte mit beiden Händen nach den Waden des Drachen und ließ alle seine Kraft auf ihn los. Millionen Blitze, in einer Stärke wie sie diese Welt noch nicht gesehen hatte, prasselten auf den Drachen nieder, bis die Kraft Thors nachließ, bis sie endgültig versiebte und es still wieder wurde. Erschöpft prustete der Gott und stockte erschrocken, als er bemerkte, dass er sich noch immer nicht erheben konnte.
Die Schuppen des Drachen dampften seicht unter der Gewalt des Gottes vor sich hin, jedoch ohne die Spur einer echten Wirkung hinterlassen zu haben. »Immer das Gleiche mit euch Menschen! Arrogant bis zum letzten Atemzug! Selbst jetzt siehst du zu Diego auf, als wärst du derjenige, der hier irgendwas zu melden hätte. Lächerlich.«
In Thors Händen zuckten erneut Blitze, während das Feuer des Kampfes in seine Augen zurückkehrte.
Diego legte den gehörten Kopf schief. »Du willst mehr Blitze? Na gut, du bekommst Blitze.« Der Drache streckte das Kreuz und ballte die Fäuste. Jeder Muskel seines Körpers wurde aufs Äußerste angespannt. Seine Brust schwoll an, als würde er einen tiefen Atemzug nehmen und ihn halten, während sich grelles Licht in seinem Maul bündelte. Die Ladung des Drachen elektrisierte auf hunderte Meter die ganze Luft und erzeugte ein wummerndes Brummen, das mit jeder Sekunde schneller und intensiver wurde, bis das festzusammengepresste Maul vor Energie nur so zu platzen drohte.
In einem letzten Akt der Verzweiflung streckte Thor den rechten Arm aus, um das Blatt zu wenden. Und tatsächlich – der Drache horchte auf und brach den verheerenden Angriff ab.
Diego schmunzelte amüsiert. Fing den Hammer des Gottes in der Luft ab, holte aus, »Dann eben so«, und ließ ihn mit einem einzigen, wuchtigen Hieb auf den Kopf des Gottes niederfahren.
Thors Arm sank und der Körper des Gottes erschlaffte.
»Haben wir es dann jetzt?«, maulte Lennerd und versuchte sein durch die Energie des Drachen aufgeplüschtes Fell wieder in den Griff zu bekommen.
Der Drache wischte die Reste des Hünen von der blankpolierten Schlagfläche des Hammers und verstaute auch diesen zufrieden in seinem Nano-Beutel. »Hoffentlich.« Er drehte sich zu dem Kaninchen und stockte. »Den Hörnchenhelm trägst du nur, damit die Leute besser erkennen, dass wir in einem Team sind, oder?«
»N-nein. Wie kommst du denn auf so etwas? Wollen wir dann endlich?«
Diego nickte, packte nach dem Kaninchen, um es auf seiner Schulter abzusetzen und schlenderte in Richtung Küste. »Grmpf! Damit das klar ist ...«
»Wir waren nie hier. Schon klar«, antwortete Lennerd, das Chaos um sie herum betrachtend.